9. Juli 2020 | cultundcomm | 1 Kommentar

Das Tor zur urbanen Zukunft – Folge 1: Die resiliente Stadt

In unserem neuen Podcast „Das Tor zur urbanen Zukunft“ begeben wir uns auf die Suche nach Antworten auf Fragen des zukunftsfähigen urbanen Raumes. Gemeinsam mit Zukunftsforscher Michael Carl und der Jost Hurler Gruppe fragen wir unsere Gäste, wie wir in Zukunft leben, wohnen und arbeiten wollen.

In Folge 1 ist Gesa Ziemer bei uns zu Gast, Leiterin des City Science Lab, Gastdozentin an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern und Mitglied im Akkreditierungsausschuss des Wissenschaftsrates Deutschland. Durch ihre wissenschaftliche Ausbildung als Philosophin beschäftigt sie sich nicht nur damit, ob Städte digitalisierbar sind, sondern auch mit welchem Lebensgefühl Städte verbunden sein sollten. Passenderweise ist das Thema der ersten Podcast-Folge: „Entscheidungen – die Rückeroberung des urbanen Raums“.

Gesa Ziemer kann aus Daten virtuelle Landkarten entwickeln und damit Zukunft sichtbar machen. Sie sagt ganz klar:
„Es gibt nicht die eine Zukunft, es gibt viele mögliche Zukünfte. An der Entwicklung einer Stadt sind viele Stakeholder gleichzeitig beteiligt, sie basiert also immer auf Kompromissen. Wenn wir mit diesen Stakeholdern zusammenarbeiten ist das demokratische Element zentral, wir müssen den Dialog immer aufrechterhalten“.

Aber fangen wir von vorne an, Stadt zu denken – was sind die wichtigsten Themen?

Gesa Ziemer: Am wichtigsten ist der öffentliche Raum. Wir haben erst vor kurzem gesehen, wie beängstigend leer Städte sind, wenn öffentlicher Raum nicht genutzt wird. Ein zugänglicher, grüner öffentlicher Raum, der Aufenthaltsqualität hat und Menschen ohne Konsum zum Verweilen einlädt – das ist elementar. Dazu kommt Mobilität: Wenn privater Verkehr aus den Innenstädten weitgehend verschwindet, haben wir viel mehr Platz, bessere Luftqualität und geringe Lärmbelästigung. Das hat Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Wohnungen an großen Straßen werden z.B. attraktiver, weil sie jetzt leise und die Balkone nutzbar sind. So lässt sich Stadt langfristig anders nutzen.

Wenn Sie Entscheidern helfen, wie denken Sie Trends mit?

Wir denken immer mit, welche Daten wir haben – und Daten gibt es viele. Städte werden heute mit Sensoren ausgestattet, deren Daten man zur Optimierung nutzen kann. Wir modellieren daraus Szenarien: Wie würde die Stadt aussehen, wenn wir – zum Beispiel – eine gewisse Anzahl an Fahrradstraßen hätten? Das hat eine Reihe an Auswirkungen auf die Stadt, die wir mit den entsprechenden Tools in Ketten darstellen. Wir visualisieren ein Szenario und diskutieren dann mit den beteiligten Stakeholdern.

Im Vordergrund steht dabei, resiliente Städte zu bauen – also Städte, die wenig krisenanfällig sind. Das haben wir auch während des Lockdowns gesehen: den Stadtteilen, die divers sind und eigene Versorgungskreisläufe haben, geht es gut. Diejenigen, die lange brauchen, um sich zu versorgen, die stehen in solchen Situationen schlechter dar.

Heißt also Resilienz, dass ich im Umkreis von 5 Minuten alles erreichen kann, was ich brauche?

Zum Beispiel. In größeren Städten könnte man das auch auf 15 Minuten ausweiten. Es geht darum, dass ich mich selbst weiter organisieren und agieren kann: also Diversität, eine gute Selbstorganisation, gute Vernetzung, lokale Versorgung – das sind alles Kriterien. Danach sollte man Stadtteile ausrichten.

Da schwingt jetzt aber schon mit, dass bei der Planung des urbanen Raums nicht nur die Machbarkeit eine Rolle spielt, sondern auch das Lebensgefühl, das damit verbunden wird. Welche Rolle spielt das denn genau?

Der öffentliche Raum ist ja nicht nur ein ästhetischer Raum, sondern ein Raum, der von den Menschen angenommen werden muss – und zwar von allen Mitgliedern der Gesellschaft mit all ihren unterschiedlichen Verhaltensweisen und Mustern, wie sie öffentlichen Raum nutzen. Ich würde mir wünschen, dass die öffentlichen Räume viel mehr nach Funktionalität und nicht nach Ästhetik wie Lichtgestaltung, Bepflanzung o. Ä. beurteilt würden. Genauso ist öffentlicher Raum ja auch politischer Raum, Raum der Demonstration, der Kunst und Performance – und wenn das nicht mehr möglich ist, ist das auch bedrohlich.

Wenn wir unseren Blick noch einmal ausweiten und vergleichen: Wir denken doch anders über Städte als Menschen in China, z.B. – gegen Großstädte wie Tokio und Shanghai wirken deutsche Städte ja geradezu dörflich. Was sind die Unterschiede?

Deutsche Städte sind natürlich kleiner und hier sind die Städte auch nicht so sehr auf den Autoverkehr ausgelegt. Wir haben aber das Problem der nicht multifunktional angelegten Innenstädte, weil man in den 70ger-Jahren Wohngebiete ausgelagert hat. Das wollen wir heute nicht mehr, deswegen ist die Wiederbelebung der Innenstädte gerade ein ganz großes Thema.

Da würde sich meine Frage anschließen: Momentan gibt es ja viele Realexperimente Richtung gemeinschaftlicher Raumnutzung – zeichnet sich da bereits ein Trend ab?

Ich denke schon, auch was flexiblen Wohnungsbau angeht – gerade verändert sich die Art und Weise, wie in Städten gebaut wird. Meine Schwester z.B. wohnt mit ihren drei Kindern in einer Baugenossenschaft und ist heilfroh über die Gemeinschaft und den Austausch, den wir in Städten heute gar nicht mehr so gewohnt sind. Gärten und andere Räume werden geteilt, was Raum für Begegnung schafft. Dahin geht auf jeden Fall ein Trend.

Wir nehmen also mit, dass eine Stadt resilient sein muss. Eine zukunftsfähige Stadt erkennen wir daran, dass sie funktioniert und flexibel ist, und viel weniger daran, welcher Ästhetik sie eigentlich folgt.

Stimmt Ihr Gesa Ziemer zu? Was gehört für Euch zur Stadt der Zukunft?

1 Kommentar

  1. Friederike

    Ich stimme in dem Punkt zu, dass es Städten tatsächlich an mehr Flexibilität fehlt, was im Alltag hinderlich sein kann. Es ist schade, dass es z.B. an bestimmten Orten Einkaufsmeilen mit wenigen Wohnungen gibt, bzw. in solchen geschäftigen Straßen niemand gerne langfristig wohnen möchte. Hier hat man natürlich auch immer das Gefühl, dass diese Gegenden ausschließlich zum Konsum und weniger zum Verweilen einladen. In den Wohngebieten ist auf der anderen Seite nicht viel los und es gibt dort keine Geschäfte oder Cafés, weil sich dort ein Wohnhaus an das andere reiht. Wenn man dann kein Auto besitzt und die nächste Bus- oder Bahnhaltestelle etwas weiter weg ist vom Haus, dann ist man schon etwas ab vom Schuss und fernab vom Leben in der Stadt. Besonders trifft dies auch Menschen, die aufgrund ihres Alters oder körperlicher Einschränkungen nicht besonders mobil sind und es begrüßen würden, wenn sie ums Eck ein nettes Café oder eine kleine öffentliche Gartenanlage hätten, um vor die Tür und unter Menschen zu kommen. Aber ich denke, generell jeden Menschen stört es wohl etwas, wenn er für ein kurzes Treffen im Café erst einmal länger mit Bus oder Bahn fahren muss.
    Bei den Kriterien der Ästhetik und der Funktionalität finde ich, dass diese nicht als gegensätzlich betrachtet werden sollten. Ich könnte mir vorstellen, dass eben dieses Schubladisieren womöglich dazu beiträgt, dass bei Planungen entweder Ästhetik oder Funktionalität eine Rolle spielt. Vielleicht könnte man an manchen Stellen bei der Planung ganz bewusst versuchen, diese beiden Punkte mehr miteinander zu verknüpfen. Sicherlich könnte man mit etwas Einfallsreichtum auch bereits bestehende funktionale Orte ästhetischer gestalten oder rein ästhetischen Orten eine Funktion geben.

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