21. Juli 2020 | cultundcomm | 3 Kommentare

Das Tor zur urbanen Zukunft – Folge 3: Die mobile Stadt

In unserem Podcast „Das Tor zur urbanen Zukunft“ begeben wir uns auf die Suche nach Antworten auf Fragen des zukunftsfähigen urbanen Raumes. Gemeinsam mit Zukunftsforscher Michael Carl und der Jost Hurler Gruppe fragen wir unsere Gäste, wie wir in Zukunft leben, wohnen und arbeiten wollen.

Heute zu Gast: Daniela Bohlinger, Head of „Sustainability in Design“ bei der BMW Group. Nachhaltigkeit und Verantwortung beginnen für sie schon bei der Planung von neuen Produkten – bei Automobilen wie beim Umfeld der Mobilität, dem urbanen Raum.

Frau Bohlinger, lassen Sie uns erst einmal den Begriff klären: Was machen Sie denn als Head of „Sustainability in Design“ und welche Fähigkeiten muss man dafür mitbringen?

Bohlinger: Wir definieren Produktdesign neu – mit Fokus auf Nachhaltigkeit. Wir entwickeln Strategien, die uns zukunftsfähig machen und helfen, die Nachhaltigkeitsziele der BMW Group zu erreichen.

Hier treffen zwei sehr tradierte Begriffe aufeinander. Der Begriff der Nachhaltigkeit oder Sustainability kommt ja zunächst aus dem Waldbau und besagt, dass man nicht mehr Ressourcen aus der Natur entnehmen soll als man wieder nachpflanzt. Das trifft auf den Begriff Design, der mit Hübschmachen assoziiert wird. Das Missverständnis liegt darin, dass wir nicht einfach hübsch machen, sondern dass wir ökonomisch, ökologisch und sozial Verantwortung übernehmen und gleichzeitig aber Form geben und mit jedem Strich, den wir zeichnen, verstehen, welcher Prozess und welche Materialien dahinterstehen müssen.

In diesem Sinn kann ja Design auch wirklich zum Umweltschutz beitragen. Wie erleben Sie Ihre Rolle?

Absolut, das ist sogar sehr zentral! Ich glaube, wir müssen da auch noch sehr viel mehr aufklären, den rein ökologischen Gedanken noch mehr in den Mittelpunkt rücken und die Kommunikation zum Thema kontinuierlich aufrechterhalten. Und da geht es auch um jeden Einzelnen.

Wir sprechen gerade über Nachhaltigkeit, wir sind aber immer noch dabei, Fahrzeuge zu bauen. Mal schlicht gefragt: Müssten wir nicht eigentlich über nachhaltige Fahrzeuge oder Mobilität an sich sprechen?

Wir müssen über nachhaltige Mobilität sprechen. Was bedeutet das aber für jeden Einzelnen? Ich laufe z.B. die 10km morgens in die Arbeit nicht zu Fuß. Für diese Distanz brauche ich irgendeine Art von Fahrzeug. Und das kann hochverantwortungsvoll und ökologisch sauber gestaltet sein oder eben nicht. Und jetzt ist die Frage, wie viel von was in einem urbanen Raum zusammenkommt. Es gibt viele, die mit normalen Fahrrädern unterwegs sind. Und dann gibt es aber auch solche, die von außen mit ihren Autos in die Stadt fahren müssen – das ist kein Entweder / Oder, sondern ein Zusammen und das werden wir auch erst einmal nicht großartig ändern. Die Frage ist, wie die Gewichtung aussieht und wo diese Gewichtung im urbanen Raum stattfindet.

Ich würde das gerne noch einmal zuspitzen. Die Frage, die ich mir ganz schlicht stelle, ist: Funktioniert nachhaltige Mobilität in den Städten, die wir haben oder brauchen wir dafür neue Städte?

Die Frage ist nicht, ob es funktioniert. Die Frage nach der Toleranz wird uns in die Verzweiflung treiben: Wie lange werden wir die heutige Mobilität noch tolerieren mit ihren Staus und Emissionen? Wenn wir eine neue Stadt planen können, werden wir aufgrund der neuen CO2-Konzepte auch mit anderen Mobilitätskonzepten arbeiten. Aber wir werden neue Mobilitätskonzepte auf den Markt bringen müssen, um sowohl die konservativen als auch die visionären Zukunftsmodelle bedienen zu können.

Sie sind beruflich ja viel unterwegs. Welche Stadt ist Ihrer Meinung nach denn schon am weitesten, was das nachhaltige Konzept angeht?

Spannende Frage, weil: Was ist denn eine nachhaltige Stadt, die es heute schon gibt? Ich begeistere mich für skandinavische Städte, weil sie eine extrem gute Infrastruktur in Sachen Elektromobilität haben und aus ihrer Tradition heraus überall Elektrosteckdosen haben. Ich kann mich für Städte begeistern, die Wasserwege aktiv nutzen, die aktiv Fahrradfahrern den Vorrang geben und die ein großes Sharing-Modell innerhalb der Städte haben. Aber es geht auch um die Bewohner, die das annehmen und verstehen, dass sie so schneller unterwegs sind.

Ich würde da gerne noch einmal nachhaken, um zu verstehen, wie Sie denken. Denkt ein Konzern wie BMW Mobilität in Fahrzeugen oder ist der Anspruch, größere Mobilitätskonzepte aus einer Hand zu liefern?

Wir haben auf jeden Fall den holistischen Gedanken. Unsere Kernkompetenz liegt in der Individualmobilität, aber spannend wird es da, wo wir diese mit dem öffentlichen Verkehr verbinden. Wir wollen schließlich auch den suburbanen Raum mitdenken und in unsere Planung einbeziehen.

Wandern wir einmal nach Utopia. Wie viel Platz bekommen denn künftig die Natur und die Menschen und wie viel der Verkehr?

In meinem Utopia 2050 wird sich Mobilität auf mehrere Ebenen auffächern müssen, um den Raum der Menschen so ideal wie möglich zu gestalten. Ich glaube, wir müssen künftig wieder höher bauen, um den Carbon Footprint zu verringern. Autos werden vielleicht nicht mehr wirklich sichtbar an den Straßen parken, on-Demand-Mobility wird stattfinden. Der öffentliche Nahverkehr wird sich anders darstellen. Die Konnektivität zwischen allen Fahrzeugen muss harmonischer ablaufen. Wir müssen künftig Rush Hours vermeiden.

Insofern können wir uns mit Blick auf Utopia auf ein Leben freuen ohne Stau, auf ein Lebensgefühl, das mehr auf ein Miteinander ausgerichtet ist und auf intelligente Systeme, die es uns ermöglichen mobil zu bleiben, ohne die Nachteile des heutigen Verkehrs erleben zu müssen.

Danke an Daniela Bohlinger für das Interview!

Wie sieht für Sie die mobile Stadt aus? Was muss bis dahin noch passieren? Wir freuen uns auf Ihre und Eure Meinungen!

3 Kommentare

  1. Jacob Hildebrand

    Natürlich wäre ein solches Utopia, in dem öffentlicher und privater Verkehr perfekt, ohne Verzicht und eben auch nachhaltig stattfindet, eine großartige Sache. Jedoch hilft es nicht, eine moderne Stadt völlig neu auf dem Reisbrett zu entwerfen. Wir müssen mit unseren bestehenden Städten arbeiten und sehen, wo wir dort ansetzen können, um Nachhaltigkeit und hohe Lebensqualität zu erreichen. Meiner Meinung nach geschieht ein solcher Wandel auf zwei Ebenen.
    Zum einen auf der öffentlichen Ebene. Es muss der öffentliche Nahverkehr aufgerüstet werden, sodass man sich günstig, zuverlässig und termingerecht in der Stadt bewegen kann. Auch Angebote wie Car-Sharing und Bike-Sharing müssen ausgebaut werden. Zum andern steht auch die Privatperson in der Pflicht, denn ohne Verzicht geht es nicht. Es wird schlicht unmöglich sein, dass ein jeder sein eigenes Auto in der Stadt besitzt und fährt. Damit Innenstädte an Lebensqualität gewinnen, müsste es ein Fahrverbot für private PKW geben. Dieser Abstrich, den dann jeder von uns zu machen hätte, könnte jedoch durch oben genannte Gegenmaßnahmen (wie eine ausgezeichnete Infrastruktur für Fahrräder und E-Scooter) abgefedert werden. Städte wie Kopenhagen in Dänemark machen es bereits vor und können als Vorbilder dienen.

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  2. Friederike

    Die Frage “Funktioniert nachhaltige Mobilität in den Städten, die wir haben oder brauchen wir dafür neue Städte?” mit der Antwort als eine Frage der Toleranz der aktuellen Situation finde ich einen interessanten Aspekt. Ich schließe mich Jacob an, der sagt, man müsse mit den bestehenden Städten arbeiten und weiter nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen, statt alles am liebsten über den Haufen werfen zu wollen. Andere Denkweisen sind leider nicht zielführend, denn wir würden ansonsten nach unterschiedlichen Maßstäben bewerten, wenn es um nachhaltige Mobilität geht. Würde man heute eine Stadt von Grund auf neu bauen, dann würde man dabei ganz anders planen und sich nach heutigen Vorstellungen von einer idealen Vernetzung in der Stadt richten, die auch noch möglichst ressourcenschonend und nachhaltig ist. Heute gibt es dafür eben auch ganz andere Ideen und Technologien zur Umsetzung als vor einigen Jahren. In 100 Jahren blicken die Menschen auf die heutige Zeit zurück und sehen einen enormen Fortschritt in punkto Mobilität von heute bis zu ihrer Zeit und schütteln womöglich den Kopf, wenn sie die Nachhaltigkeit ihrer Mobilität mit unserer vergleichen.
    Es ist wichtig, dass jeder Aspekt eines bestimmten “Designs” mit genug Weitblick und somit auf langfristigen Nutzen mit dem Erreichen eines bestimmten Ziels ausgerichtet wird. Man muss sich aber bei allen Neuerungen bewusst sein, dass man stets auf einer Grundlage aufbaut, die womöglich unter ganz anderen Zielvorstellungen zustande kam. Wann fängt man schon etwas bei 0 an? Absolute Neuerungen ohne Vergleich gibt es doch selten. Beim Thema Mobilität schränken die aktuell vorhandenen Gegebenheiten oftmals ein, wenn es um Verbesserungen geht. Mit genug Durchhaltevermögen und Experimentierfreudigkeit werden hier aber sicherlich in Zukunft noch viele Chancen erkannt werden, um auf das Utopia 2050 hinarbeiten zu können.

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  3. Antonia Meyer

    Gutes Design sollte sich niemals nur auf das „Hübschmachen“ konzentrieren. Vielmehr ist von Anfang an ein holistischer Ansatz gefragt, denn gutes Design muss sowohl Optik, als auch Funktionalität und Nachhaltigkeit vereinen. Diese Philosophie lässt sich durch verschiedene Designbranchen hinweg umsetzten. Im Bereich Innenarchitektur gibt es beispielsweise nachhaltige Praktiken, bei denen aktiv versucht wird die Natur in den Raum zu transportieren. Dabei setzten Designer besonders auf natürliche Materialien, Pflanzen und lichtdurchflutete Konzepte. Persönlich denke ich, dass es keine neuen Städte braucht um einen ganzheitlich urbanen Raum zu schaffen. Es geht viel mehr darum, das Konzept der Nachhaltigkeit zu adaptieren und schrittweise in die Bereiche Mobilität, Wohnen und Lebensweise zu integrieren.

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