Xing führt das „Du“ ein – und erntet teils kräftigen Gegenwind. Warum auch wir eher kritisch sind?
Seit Mitte Mai duzt das Karriere-Netzwerk Xing seine Mitglieder und begrüßt auch unter den Mitgliedern die Ansprache per „Du“. Der Ansatz dazu, wie ihn die Geschäftsführerin Sabrina Zeplin in ihrem Beitrag zum Thema begründet, klingt auf den ersten Blick gut: Man wolle den Mitgliedern helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen – dazu brauche es Augenhöhe. „Das „Sie“ steht für eine hierarchische Denk- und Arbeitsweise, mit der wir uns bei XING nicht mehr identifizieren können. In der Zukunft der Arbeit sollte sich unserer Meinung nach niemand mehr aufgrund des Alters oder der Position wichtiger fühlen dürfen als irgendjemand anderes. Das „Du“ schafft Nähe und eine emotionale Verbundenheit, die auch in einem professionellen Umfeld zu einem signifikant besseren Miteinander führt. Schließlich kommt man mit dem „Du“ deutlich leichter zum „Wir“ als mit dem traditionellen „Sie““. Ganz abgesehen davon lasse die Anrede per „Herr“ und „Frau“ das dritte Geschlecht außer Acht, was absolut nicht mehr in unsere Zeit passe.
Ja, aber…
Wir stimmen Frau Zeplin zu, wenn sie sagt, dass in einem Großteil der Unternehmen – auch in Konzernen – das „Sie“ beinahe ausgestorben ist. Auch wir bei ALTHALLERcommunication sind untereinander per „Du“. Und es ist richtig, dass der Umgang per „Du“ für eine moderne, internationale Arbeitswelt stehen kann (in Start-Ups und in den Generationen Y und Z ist das heute Standard).
Die Frage ist aber, ob sich diese Zielgruppen, die digitalen Nomaden, die Start-Up-Vertreter und Hipster auf Xing bewegen? Wir sagen Nein.
Wer in der modernen, schnelllebigen, internationalen Arbeitswelt angekommen ist, nutzt längst LinkedIn für den Aufbau und die Pflege von Geschäftskontakten. Xing ist ein deutsches Netzwerk, auf dem wir in allererster Linie den deutschen Mittelstand sehen. Und der deutsche Mittelstand ist nun mal wertkonservativ.
Was heißt das konkret? Im deutschen Mittelstand ist das „Sie“ ein Zeichen von Respekt und Höflichkeit. Die Ansprache per „Du“ wird schnell als Angriff oder Respektlosigkeit missverstanden. Wenn das „Du“ angeboten wird, steht das für ein hohes Maß an Vertrauen und Verbindlichkeit. In den eigenen Gruppen oder innerhalb des bestehenden Netzwerks mag das „Du“ ja in Ordnung sein – zum Kontaktaufbau auf Xing würden wir davon eher Abstand nehmen.
Imagewechsel statt durchsichtigem Versuch, relevant zu bleiben
Im Hinblick auf die Zielgruppe von Xing wirkt die Einführung des „Du“ auf uns eher wie der verzweifelte Versuch, in der Arbeitswelt von heute relevant zu bleiben. Dazu gehört aber deutlich mehr. Ein Imagewechsel würde dem Unternehmen guttun: die Einführung des „Du“, verpackt in einem Bundle aus Modernisierungsmaßnahmen hin zu mehr Offenheit und Diversität durch Internationalität und Zweisprachigkeit – inklusive neuer Features wie einer WhatsApp-Integration usw. – zum Beispiel.
Letztlich entscheidet jeder Nutzer weiter selbst, wie er mit wem auf dem Netzwerk kommuniziert. Wir persönlich bleiben für neue Kontakte beim „Sie“. Aus Respekt.
Wie sehen Sie das? Werden Sie von Xing gerne geduzt oder hätten Sie lieber die Ansprache per „Sie“ zurück? Finden Sie die Entscheidung von Xing gut und richtig?
Wir freuen uns auf Ihre Meinungen!
Wie schon im Artikel angeführt wurde, sind die Zielgruppe und deren Bedürfnisse bei Entscheidungen wie etwa ob man seine Kunden mit “Du” oder “Sie” anspricht essentiell. Laut Frau Zeplin möchten mehr als 50% der Xing Nutzer mit Du angesprochen werden.* Wie auch immer deren Meinung dazu ist, die Argumente von Frau Zeplin sind nicht alle zutreffend.
Welchem Geschlecht wir uns zugehörig fühlen ist ja nur ein Teil unserer Identität. So wird diese eben auch von anderen Faktoren bestimmt, z.B. auch dem sozialen und beruflichen Umfeld. Und das beinhaltet eben auch oft, ob man sich in flachen Hierarchien befindet oder nicht. Im Zweifelsfalle ist es besser Kunden zu fragen wie sie angesprochen werden möchten. Dass das Unternehmen mit der Zeit gehen will ist an sich gut. Jedoch hinkt für mich hier das Argument des dritten Geschlechts. Man hätte sich vorher genauer mit dem Thema befassen können, bevor Aussagen getroffen werden, wie dass für eine geschlechtsneutrale Ansprache das “du” notwendig sei. Warum nicht einfach den Nutzern die Entscheidung überlassen, ob sie sich als m/w/d identifizieren, bzw. ob sie mit Herr/ Frau/ Enby angesprochen werden wollen?
*https://www.xing.com/news/insiders/articles/warum-wir-sie-jetzt-duzen-3212207
Prinzipiell ist es mir egal ob mich eine Plattform wie Xing mit „Sie“ oder „Du“ anspricht, jedoch macht diese neue Kultur auf einen gesellschaftlichen Wandel aufmerksam, der sich inzwischen in vielen Bereichen des Lebens bemerkbar macht. Vertreter der Gender-Diskussion fordern beispielsweise sogar eine Änderung unserer Sprache, um niemanden mehr zu diskriminieren.
Doch wenn Xing innerhalb des Unternehmens flache Hierarchien pflegt und diese nun auch nach außen zeigen möchte, so scheint dies doch mehr der Versuch einem Trend nachzueifern, um noch mit anderen Plattformen mithalten zu können.
Ja, dieser Eindruck ist wohl häufiger entstanden…
Es ist verständlich, dass XING das in vielen Unternehmen und sozialen Plattformen gelebte “Du” und “Wir” übernehmen möchte, um relevant und nicht hinter anderen Netzwerken zurück zu bleiben. Ich bin dennoch auch der Meinung, dass dazu mehr gehört, als ein bloßes “Du” nach außen hin. Zwar sind Sprache und Denken unmittelbar miteinander verknüpft und ein “Du” ebnet bereits den Weg hin zu einem offenen Umgang miteinander, der auf Augenhöhe stattfindet und nicht vor bestimmten Positionen oder Altersgruppen Halt macht. Dennoch gibt es unabhängig von Alter und Position auch immer ein unterschiedliches Wertverständnis im Umgang miteinander. Da kann es schon als grenzüberschreitend und respektlos erachtet werden, von einer fremden Person geduzt zu werden.
Eine Plattform ist für ihre User da und sollte daher auf ihre Bedürfnisse eingehen. Sinnvoller wäre es im Fall von XING also, sich Gedanken über das eigentliche Profil seiner User zu machen und andere Maßnahmen zu ergreifen, um das Netzwerk attraktiver und zeitgemäßer zu gestalten. Ein reines Duzen ist zunächst eine reine Äußerlichkeit, die im Fall von XING womöglich keinen guten Anklang bei den Usern findet. Für mich spielt es persönlich keine Rolle, ob mich jemand mit “Du” oder “Sie” adressiert. Ich würde jedoch auch in der Rolle als Geschäftsführerin oder Personalerin Mitglieder auf XING und auf LinkedIn als Zeichen der Wertschätzung stets mit “Sie” anschreiben und gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt das “Du” anbieten.
Für mich persönlich spielt es keine so große Rolle, ob ich auf Xing geduzt oder gesiezt werde. Ich finde es wichtig diese Diskussion vor dem Hintergrund der bestehenden deutschen Sprachkultur zu sehen. Eine fremde Person im Arbeitskontext zunächst zu siezen ist für mich kein Ausdruck eines veralteten hierarchischen Systems, sondern ein Zeichen von Respekt und Höflichkeit. Ich sieze zunächst aus Respekt in der Arbeitswelt jeden und wenn mir das „Du“ angeboten wird, nehme ich es gerne an. Ich teile auch nicht die Ansicht, dass eine Ansprache per „Du“ automatisch Ausdruck von modernen und flachen Hierarchien ist. Da kommt es auf die Unternehmenskultur als Ganzes an. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass eine Ansprache per „Du“ noch lange keine Garantie für ein Gespräch auf Augenhöhe ist. Ich kann mir auch absolut vorstellen, dass einige Xing-User diese Entscheidung sehr irritiert hat. Wenn Xing sich modernisieren möchte, sollte die Plattform meiner Ansicht nach eher an neuen Features arbeiten und an Themen wie Internationalisierung und Mehrsprachigkeit. Im Gegensatz zu Sprachen wie Englisch oder Schwedisch, in denen es kein „Sie“ gibt, haben wir es in der deutschen Sprache nun mal. Und es ist nicht notwendig, dass „Sie“ in der Arbeitswelt unbedingt loszuwerden. Eine moderne Unternehmenskultur und flache Hierarchien können mit vielen anderen Maßnahmen erreicht werden.
Richtig. Die “Sie” Ansprache zu wählen wird in unserer Kultur auch als Frage der Höflichkeit verstanden. Wobei die Übergänge dann rasch fließend werden, auch im B2B Umfeld.